„Idiotentest“ (MPU) bald bereits ab 1,1 ‰ oder weniger?

Viele sehen es noch als ein klassisches Kavaliersdelikt. Nach dem Treffen in der Kneipe mit ein paar Freunden, nach der Karnevalsveranstaltung oder dem Besuch im Fußballstadion, setzt man sich hinter's Steuer, obwohl es nicht bei den ein oder zwei Bier oder Gläsern Wein geblieben ist, die es ursprünglich sein sollten. Für ca. 60.000 Führerscheinbesitzer im letzten Jahr kam nach der Polizeikontrolle oder sogar einem Unfall dann das böse Erwachen. Der Führerschein wird kurzerhand kassiert. Bleibt der Promillewert überschaubar oder aber jedenfalls unter der Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit von 1,1 ‰, hat der Fahrer Glück im Unglück: Es gibt „nur“ ein Fahrverbot von 1 bis 3 Monaten nebst einer Geldbuße. Der Verkehrssünder erhält seinen Führerschein nach Ablauf dieser Zeit automatisch zurück.

Wir möchten uns aber hier dem schlimmeren Fall widmen; nämlich demjenigen Fall, bei dem später auch der sog. Entzug der Fahrerlaubnis droht, was bedeutet, dass der Führerschein neu erworben und nach Ablauf einer Sperrfrist auch bei der Fahrerlaubnisbehörde neu beantragt werden muss.

Ein solcher Fahrerlaubnisentzug droht bei Alkoholfahrten nach einer gefestigten Rechtsprechung bei 1,1 ‰ oder mehr Alkohol im Blut. Ab diesem Wert geht man davon aus, dass die Fahruntüchtigkeit unwiderleglich vermutet wird. Das Strafgericht ordnet dann eine Fahrerlaubnissperre an, die i.d.R. bei 9 Monaten (Ersttäter, kein Unfall), bei schwereren Verkehrsstraftaten zwischen einem bis eineinhalb Jahren oder auch in Extremfällen (schwerwiegende Unfallfolgen, Wiederholungstäter etc.) bei bis zu fünf Jahren liegt.

Lange Zeit war mit 1,6 ‰ eine weitaus höhere, zweite Grenze vorgesehen, bei deren Überschreiten man davon ausging, dass dem Alkoholsünder die Fahreignung dauerhaft abzusprechen ist und er der Straßenverkehrsbehörde mithilfe einer Medizinisch-Psychologischen-Untersuchung (MPU oder landläufig "Idiotentest") beweisen muss, dass seine Fahreignung durch ein verändertes Konsumverhalten im Hinblick auf Alkohol wiederhergestellt ist. Nicht nur der eigentliche Test, sondern auch die Vorbereitung hierauf gehen aber nicht selten ziemlich ins Geld, sodass der Fahrerlaubnisentzug schnell alles in allem mit mehreren tausend Euro zu Buche schlagen kann.

Und nun sieht eine nicht zu unterschätzende Entwicklung in Teilen der Republik (u.a. Bayern, Baden-Würtemberg, Berlin, aber auch in Teilen von NRW) vor, dass diese 1,6 ‰ Grenze auf die „strafrechtliche“ Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 ‰ gesenkt werden soll. Fahrerlaubnisbehörden in einzelnen Kommunen stellen sich dort auf den Standpunkt, dass schon bei einem einmaligem Verstoß generell der Verdacht von schwerem Alkoholmissbrauch besteht, der die dauerhafte, fehlende Fahreignung zur Folge hat. Platt gesagt unterstellt die Behörde dem auffälligen Fahrer: „Du bist eine Schnapsnase und wirst Dich immer wieder alkoholisiert ans Steuer setzen!“

Einen Schritt weiter geht sogar das Bayerische Verwaltungsgericht (BayVwG) München im Urteil vom 17.11.2015 (Az.: 11 BV 14.2738), dass die Promillezahl allein nicht als auschlaggebend für die Frage hält, ob eine MPU angeordnet werden muss oder nicht. Sobald die Fahrerlaubnis vom Strafgericht nach § 69 StGB wegen fehlender Fahreignung entzogen wurde, müssten diese Eig-nungszweifel auch im verwaltungsbehördlichen Verfahren  gem. § 2 Abs. 4 Satz 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 3, § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV zum Tragen kommen, so dass allein die „strafrechtliche“ Promillegrenze letzten Endes maßgeblich für die Beurteilung der Fahreignung seien würde.

Dieser Entwicklung in der Rechtsprechung sollte aber bereits aus mehreren Gründen entschieden entgegen getreten werden. Zunächst vermischt das BayVwG München Äpfel mit Birnen, wenn es die Promillegrenze aus dem Strafrecht auf das Verwaltungsverfahren überträgt. Im Strafrecht soll nämlich eine gerechte Strafe für ein bestimmtes Fehlverhalten – hier die Alkoholfahrt – gefunden werden. Die Strafe und auch die Fahrerlaubnissperre als Nebenfolge bezieht sich dabei immer auf eine ganz bestimmte Tat, die in der Vergangenheit liegt; Juristen sprechen davon, dass die Strafe repressiv wirkt. Der Strafrichter stellte aber nur eine temporäre Ungeeignetheit fest. Und hierin liegt der entscheidende Unterschied zur verwaltungsrechtlichen Bewertung im Rahmen der MPU-Anordnung: Hier geht die Fahrerlaubnisbehörde davon aus, dass die Ungeeignetheit bis zu dem Zeitpunkt fortbesteht, bis mittels eines MPU-Gutachtens das Gegenteil bewiesen wurde. Die Anordnung dient dabei sog. präventiven Zwecken, d.h. die allgemeine Verkehrssicherheit soll in Zukunft vor weiteren Alkoholfahrten geschützt werden. Da dieser Schutz quasi unbefristet aufrecht erhalten werden muss – bis nämlich die Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen durch eine MPU nachgewiesen wurde – und nicht nach Ablauf einer Sperrfrist nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, ist der Eingriff in die Rechte des Autofahrers im Verwaltungsrecht auch erheblich intensiver als im Strafrecht. Dem wurde bislang völlig zurecht mit einer höheren Promillegrenze von 1,6 ‰ Rechnung getragen, da die „verwaltungsrechtliche“ Ungeeignetheit gegebenenfalls ein Le-ben lang fortdauert – dann nämlich, wenn der Betroffene einfach keine MPU machen will.


Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass nur in bestimmten Gerichtsbezirken eine Herabsetzung der Promillegrenze gefordert wird. Eine höchstrichterliche Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) ist bislang aber noch nicht erfolgt, so dass im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung diese Entscheidung zunächst abgewartet werden sollte, oder besser noch: der Gesetzgeber sollte eine bundesweit einheitliche Promillegrenze festlegen, bei der die Anordnung einer MPU von den Fahrerlaubnisbehörden ausgesprochen werden kann.

Die derzeitige Entwicklung in einigen Teilen der Republik wird nur zu einem vermehrten Führerscheintourismus führen und zwar nicht nur in der Form, dass EU-Fahrerlaubnisse unter bestimmten Voraussetzungen (bsplw. unter Beachtung des Wohnsitzprinzips) im EU-Ausland erworben werden, sondern, dass der Tourismus schon im ganz Kleinen beginnt: Der Alkoholsünder aus Stadt A könnte seinen Wohnsitz kurzerhand in die Stadt B, die sich hinter der Landesgrenze zu einem Bundesland mit liberaler Eignungsprüfungspraxis befindet, verlegen. Die Verwaltungspraxis wäre somit nicht nur uneinheitlich sondern auch nur noch schwer zu durchschauen.

Zudem ist zur Zeit die Überprüfung der Anordnungspraxis einzelner Fahrerlaubnisbehörden mangels eines Rechtsmittels gegen eine solche Anordnung überhaupt nur schwer möglich. Bislang kann sich der Betroffene nicht mit einem Rechtsmittel gegen die Anordnung der MPU zur Wehr setzen. Berufsverbände, aber auch insbesondere der Deutsche Anwaltverein, arbeiten seit langem an einer entsprechenden Gesetzesinitiative.

Es bleibt abzuwarten, wie diese spannenden Fragen um die schwerwiegenderen Alkoholfahrten in Zukunft zu beantworten sein werden.

[RA Bödeker]

 |  von RA Bastian Bödeker