Kann eine Ersatzfreiheitsstrafe überhaupt verhältnismäßig sein?

Der Gesetzgeber hat den Gerichten lediglich einen überschaubaren Strafen-/Maßnahmenkatalog an die Hand gegeben, wenn es darum geht, strafechtlich relevantes Verhalten zu sühnen / zu vergelten / zu bestrafen. Neben der eher exotischen Strafform der Verwarnung mit Strafvorbehalt nach § 59 StGB, die kaum praktische Bedeutung hat (warum eigentlich nicht?), und den Maßregeln der §§ 61 ff StGB (Fahrerlaubnisentzug, Unterbringungen und Sicherungsverwahrung) werden bei der überwiegenden Anzahl der Urteile, die nicht mit einem Freispruch enden, am Ende eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhangen.

Wiegt die individuelle Schuld des Täter nicht besonders schwer (z.B. keine schwerwiegende Straftat) oder hat der Täter nicht schon eine Vielzahl von Vorstrafen, kommt i.d.R. die Verhängung von Geldstrafen zum Einsatz. Eine Geldstrafe setzt sich dabei aus zwei Zahlen zusammen, die miteinander multipliziert werden. Hierbei handelt es sich um die Anzahl der Tagessätze sowie die Höhe des Tagessatzes in Euro. § 40 Abs. 1 StGB bestimmt dabei, dass die Anzahl der Tagessätze mindestens fünf und höchstens 360 Tagessätze betragen dürfen. An dieser Stelle beurteilt der Richter wie viele Tagessätze er für die konkrete Tat unter Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters und aller weiteren Tatumstände für angemessen erachtet. Handelt es sich beispielsweise um eine Tat im Bagatellbereich - wie etwa eine Beleidigung - können 15, 20 oder etwa 30 Tagessätze ausgeworfen werden, haben wir es mit einem Betrug mit einem nicht unerheblichen Schaden zu tun, können auch 120 oder 180 Tagessätze ausgesprochen werden.

Die Tagessatzhöhe bestimmt sich nach dem individuellen, monatlichen Nettoeinkommen des Täters. Dieses monatliche Nettoeinkommen wird auf den an einem Tag zur Verfügung stehenden Betrag heruntergebrochen (Beispiel Nettoeinkommen 900 € : 30 Tage = 30 € Tagessatzhöhe). Damit soll vermieden werden, dass ein Hartz IV-Empfänger in Summe mit der gleichen Geldstrafe belegt wird wie ein Chefarzt mit dem entsprechenden Nettoeinkommen. Dabei bestimmt § 40 Abs. 2 S. 3 StGB, dass die Tagessatzhöhe mindestens ein Euro und höchstens dreißigtausend Euro betragen muss. Eigentlich ein vernünftiges System, könnte man meinen.

Ungleichbehandlungen lassen sich aber auch durch diese Systematik nicht gänzlich ausschließen. Derjenige, der am Rande des Existenzminimums lebt und/oder hoch verschuldet ist (was vielleicht erst Anlass für die Straftat gewesen ist?), wird eine Geldstrafe möglicherweise nicht bezahlen können, auch wenn sie nur ein paar hundert Euro wegen einer Schwarzfahrt oder einem Ladendiebstahl beträgt, die Tagessätzhöhe zu seinen Gunsten bereits mit 10 oder 15 Euro „heruntergerechnet“ wurde und die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde „großzügig“ eine Ratenzahlung einräumt. Für den Fall, dass die Geldstrafe sodann uneinbringlich ist, sieht das Gesetz in § 43 StGB die sog. Ersatzfreiheitsstrafe vor. Dabei muss für jeden verhangenen Tagessatz „ersatzweise“ ein Tag in Haft verbüßt werden.

Aber steht das am Ende im Verhältnis zur ursprünglichen Schuld des Täters, dann nämlich, wenn für eine Schwarzfahrt 30 oder mehr Tage Gefängnis drohen? Ich bin der Meinung, dass eine solche Haftdrohung rechtsstaatlich nicht hinnehmbar ist. Bei Bagatelldelikten verbietet es sich m.M.n., diese in einer Weise zu kriminalisieren, dass in das höchste Grundrecht, nämlich die individuelle Freiheit eingegriffen, indem diese durch Haft entzogen wird.

Hinzu kommt, dass die Gesellschaft aus rein fiskalischen Gründen kein Interesse am Vollzug von Haftstrafen haben kann, die auf Bagatellen zurück gehen. Nach unterschiedlichen Erhebungen (vgl. bsplw. Heinz, Strafvollzug in Deutschland) kostet der Hafttag den Steuerzahler zwischen 80 und 100 €. Wird eine Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagessätzen vollstreckt, ergeben sich Haftkosten von 4.000 – 5.000 €, die wir einmal ins Verhältnis zum erlittenen Unrecht (etwa bei einem Ladendiebstahl, einer einfachen Körperverletzung oder des Fahrens ohne Fahrerlaubnis) setzen müssen.

Nach einer Auswertung des statistischen Bundesamtes (Rechtspflege „Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten“, Stichtag 31.08.2015, S. 26) befanden sich im Jahr 2015 4.460 Menschen deutschlandweit zur Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafe in Haft. Da es sich hierbei lediglich um arbeits- und mittellose Personen aus den Randgruppen der Gesellschaft handeln dürfte, ist die Verhängung von Ersatzfreiheitstrafen bei einer derartigen Vielzahl von Menschen eines Sozialstaates unwürdig.

 

RA Bödeker

 |  von RA Bastian Bödeker